Waldorfschulen

sind die größte von Staat und Kirche unabhängige Schulbewegung in Deutschland. Die Waldorfpädagogik geht auf Rudolf Steiner zurück. Er gründete 1919 die erste Waldorfschule.

 

Die erste Waldorfschule

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart als eine Schule für die Kinder der Beschäftigten der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria gegründet. Der Fabrikant Emil Molt hatte Rudolf Steiner (er lebte von 1861 bis 1925) gebeten, eine Schule aufzubauen, in der vielleicht zum ersten Mal das Prinzip sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen verwirklicht werden sollte.

 

Nur sechs Monate später wurde die erste Waldorfschule mit zwölf Lehrern und 256 Kindern in acht Klassen eröffnet. An dieser Schule waren unter der pädagogischen Leitung Rudolf Steiners praktisch von Beginn an alle auch heute noch für die Waldorfpädagogik typischen Prinzipien verwirklicht.

 

Dazu gehörte, dass die Waldorfschule als erste "einheitliche Volks- und höhere Schule" jungen Menschen - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, Begabung oder ihrem Berufswunsch - eine gemeinsame Bildung vermittelte, in der das Prinzip der Auslese durch eine Pädagogik der Förderung ersetzt wurde und immer noch wird. Ein äußeres Zeichen dafür ist, dass alle Schülerinnen und Schüler ohne Sitzenbleiben eine zwölfjährige Schulzeit durchlaufen, an deren Ende der Waldorfschulabschluss steht. 

 

Aber auch alle staatlichen Abschlüsse - der Haupt- und Realschulabschluss sowie am Ende eines "angehängten" 13. Schuljahres die Fachhochschulreife oder die Allgemeine Hochschulreife (Abitur) - können an der Waldorfschule abgelegt werden. Das entscheidende Prinzip der Waldorfpädagogik aber liegt - vom Kindergarten bis zum Schulabschluss - in der sorgfältigen Abstimmung aller Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen auf den Entwicklungsprozess des Kindes hin zum Erwachsenwerden. 

 

Die Klassenlehrerzeit

Die ersten acht Jahre, die ein Kind an der Waldorfschule verbringt, nennt man auch die Klassenlehrerzeit. Denn in diesen acht Jahren wird das Kind von dem selben Klassenlehrer begleitet, der den Großteil des Unterrichts bestreitet. Der Schuleintritt fällt in etwa zusammen mit dem Zahnwechsel, einem ganz entscheidenden Zeitpunkt im Leben eines Kindes, denn mit ihm ist der Aufbau der kindlichen Organe abgeschlossen und Entwicklungskräfte werden frei, die dann als Lernkräfte wirksam werden können (Abschluss des ersten Lebensjahrsiebts). Zunächst wird vor allem bildhaft unterrichtet. Deshalb werden im Schreibunterricht der 1. Klasse z. B. die Buchstaben nicht als abstrakte Zeichen gelernt, sondern sie entwickeln sich aus Bildern und Geschichten. Überhaupt spielt das Bildhafte im Unterricht der 1. Klasse die entscheidende Rolle, ob im täglichen Erzählen von Märchen, im Formenzeichnen oder in den Liedern, Versen und Rollenspielen des frühen Fremdsprachenunterrichts (Englisch und Russisch). 

Mit der fortschreitenden Entwicklung des Kindes geht es im zweiten Schuljahr dann um das Sich-Orientieren in der Welt. Links und rechts, oben und unten, aber auch schnell und langsam, laut und leise werden in rhythmischen Übungen erfahren. Fabeln und Legenden sind eine Möglichkeit, sich seelisch zu orientieren. Das Rechnen an der Waldorfschule geht im zweiten ebenso wie im ersten Schuljahr zunächst vom Ganzen aus, nicht von den Teilen - Kinder dieses Alters sehen sich noch mit der Welt als Einheit. Die 3.Klasse dann nimmt eine besondere Position ein, denn ins neunte Lebensjahr fällt die erste "Entwicklungskrise" in der Schulzeit: Das Kind beginnt, sich als eigenständige Persönlichkeit zu erkennen. Es muss und will die ersten Schritte in die Welt der Erwachsenen tun. Dabei hilft die Beschäftigung mit der Landwirtschaft: Es wird - über das ganze Schuljahr verteilt - gepflügt, Korn gesät, gepflegt, geerntet und am Ende dann gemahlen und gebacken. Auch das Erzählen der Schöpfungsgeschichte spiegelt die Entwicklung des Kindes wider: Das "Paradies" (der Kindheit) muss verlassen werden, es beginnt die Suche nach der Erwachsenenwelt.

In der 4. Klasse wird die "Eroberung" der Welt fortgesetzt - der Klassenlehrer baut weiter an der "Brücke zur Welt". Heimatkunde und Naturbetrachtung spielen jetzt eine große Rolle. Beim Kartenzeichnen heben sich die Schüler durch Gedankenkraft empor und betrachten die weiter werdende Welt aus der Vogelperspektive. Dass dabei zugleich auch Grundlagen der Geometrie erlernt werden, versteht sich von selbst.

Auch die letzen vier Jahren der Klassenlehrerzeit sind geprägt davon, den Schülern Wege in die Welt aufzuzeigen: Die Menschheits- und Kulturgeschichte gehören ebenso dazu wie zum Beispiel die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Erde im Gartenbau, die Biographien großer Persönlichkeiten oder die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften. Mit der 8. Klasse kommt endgültig die oft sehr einsame Zeit der Geschlechts- oder, wie es in der Waldorfpädagogik treffender genannt wird, der Erdenreife. Mit diesem  Abschluss des zweiten Lebensjahrsiebts beginnt sich dann das Weltinterresse zu erweitern. Es werden immer neue Fächer in den Unterricht aufgenommen, die jetzt verstärkt selbstständiges Denken und eigene Aktivität verlangen. Schluss und Höhepunkt der Klassenlehrerzeit ist die Arbeit an einem grösseren Theaterstück bis zur bühnenreifen Vorführung.

 

Die Oberstufe

Die Oberstufe umfasst an der Waldorfschule die Klassen 9 bis 12. An die Stelle des Klassenlehrers treten ein bis zwei Klassenbetreuer, die für alle Belange der Schüler und Eltern als Ansprechpartner bereitstehen. Die Hauptunterrichtsfächer, die auch weiterhin in  3-4-wöchige "Epochen" eingeteilt sind und die in der Unter- und Mittelstufe vom Klassenlehrer unterrichtet wurden, werden nun von Fachlehrern übernommen.

 

Der Oberstufenunterricht soll bei den Jugendlichen ein lebendiges Interesse an den Inhalten wecken und darüber hinaus an die Fragen der Zeit anknüpfen. Neben dem Anlegen von Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissen werden dabei auch stets Lebensfragen, die die Jugendlichen tiefer berühren, berücksichtigt. Die jungen Menschen sollen einerseits gefordert, andererseits in ihrer altersgemäßen Entwicklung gefördert werden.

 

Diese Erziehungsaufgabe konkretisiert sich in der pädagogischen Praxis auf dreierlei Weise:

1.  im Vertrautwerden mit der Erde und den Aufgaben, die sie stellt;

2.  im erfahren der Welt in ihrer den Blick fortwährend weitenden Vielfalt;

3.  im Entdecken der eigenen Individualität.

 

So vorbereitet soll der junge Mensch frei und verantwortungsvoll als selbstständige Persönlichkeit die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft mitgestalten lernen. Für die Erziehungspraxis bedeutet das, dass die Schulung des intellektuellen Vermögens zu vereinen ist mit der Pflege der Fantasiekräfte und der Bildung des Charakters.

 

 >>  Bitte informieren Sie sich auch über unsere Literaturempfehlungen.

 

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